Sei in der Gegenwart!
Frage an Osho:
Du hast einmal gesagt, dass dies eine sehr schöne Welt ist, nur leider sei sie in die falschen Hände gefallen. Ich stimme dir zu und empfinde es mit jeder Faser meines Daseins. Aber wie können wir diese habgierigen Hände davon abhalten, die Natur zu foltern und sich die Menschen zu unterwerfen, wenn wir sie nicht bekämpfen und besiegen? Müssen wir nicht zunächst das Alte zerstören, um das Neue aufbauen zu können?
Osho:
Das ist eine der ältesten Fallgruben, in die der Mensch wieder und wieder gestürzt ist. Ja, Giovanni, ich sage: Die Welt ist eine sehr schöne Welt, aber sie ist den Falschen in die Hände gefallen – und sofort sinnt dein Verstand auf Mittel und Wege, wie wir diese falschen Leute vernichten können, wie wir die Welt diesen falschen Leuten und ihren Händen entreißen können. Statt dich selber zu transformieren, statt deine eigene Gesinnung zu transformieren, fängst du sofort an, politisch zu denken. Ich spreche von Religion und du interpretierst es sofort politisch.
Und es klingt logisch; denn es wirkt vollkommen richtig: „Wie können wir diese habgierigen Hände davon abhalten, die Natur zu foltern und sich die Menschen zu unterwerfen, wenn wir sie nicht bekämpfen und besiegen?“
Aber glaubst du vielleicht, du könntest die Welt und ihre Lage transformieren, wenn du sie bekämpfst und besiegst? Indem du kämpfst und siegst, wirst du genauso werden wie diese Leute, die du bekämpfen und besiegen willst. Das ist eines der fundamentalen Gesetze des Lebens: Wähle dir deine Feinde sehr sorgfältig aus! Freunde kannst du dir nach Belieben aussuchen, um Freunde brauchst du dir keine großen Sorgen zu machen, da Freunde dich nicht so tief beeindrucken, keinen so tiefen Einfluss auf dich ausüben wie deine Feinde. Beim Feind ist größte Achtsamkeit geboten, da du mit ihm kämpfen musst – und dich beim Kämpfen derselben Mittel, derselben Taktik, derselben Strategien bedienen musst wie er – und das auf Jahre hinaus! All das wird dich prägen. Die ganze Weltgeschichte lehrt uns dies.
Josef Stalin hat sich als ein weit gefährlicherer Herrscher entpuppt als die Zaren, die Russland beherrscht hatten, bevor sie der Kommunismus absetzte. Warum? – weil er den Zaren ihre Strategien abgeguckt hatte. Im Kampf gegen die Zaren musste er ihre Mittel und Wege übernehmen, dieselben Mittel und Wege, die sie benutzten. Sein ganzes Leben galt diesem Kampf, dieser Gewaltausübung. Als Josef Stalin dann an die Macht kam, war er wie ein Zar, nur weit gefährlicher – offensichtlich, denn er trat ja das Erbe der Zaren an. Er muss gerissener, blutrünstiger, ehrgeiziger gewesen sein, muss machiavellistischer gewesen sein. Andernfalls hätte er unmöglich gegen die Zaren gewinnen können.
Und dann tat er dasselbe, nur in einem weit größeren Maßstab: Er stellte alle Zaren in den Schatten! Alle Zaren zusammengenommen haben je so viel Unheil angerichtet, so viel Morde verübt wie Josef Stalin im Einzelgang. Er hatte seine Lektion so gut gelernt, dass er sich an die Spitze der Revolution stellen konnte, ja er besteht sogar der Verdacht, dass Lenin als Anführer der Revolution von Josef Stalin vergiftet wurde, nach und nach, getarnt als Arznei. Er war krank, und unter dem Deckmantel der Medizin wurde er nach und nach vergiftet und umgebracht. Solange Lenin noch lebte, war Stalin nur die Nummer Drei, denn der Zweite im Staat war ein anderer, Leon Trotzki. Zunächst musste er also Lenin aus dem Weg räumen – er brachte Lenin um. Und dann musste er Trotzki aus dem Weg räumen – er brachte Trotzki um. Dann war er an der Macht und sobald er an der Macht war, begann das große Morden. Alle Mitglieder des Politbüros, des Gremiums der höchsten kommunistischen Führer, wurden von Stalin umgebracht, einer nach dem andern. Da die sich alle strategisch auskannten, mussten sie beseitigt werden.
In allen Revolutionen der Welt hat es sich ebenso abgespielt.
Nun, wenn ich also diese Welt eine schöne Welt nenne, die leider in den falschen Händen ist, meine ich damit nicht, dass ihr anfangen sollte, diese falschen Hände zu bekämpfen. Ich meine damit: Gehört bitte nicht zu diesen falschen Händen, mehr nicht.
Ich lehre keine Revolution, ich lehre Rebellion. Und das ist ein Riesenunterschied. Revolution ist politisch, Rebellion ist religiös. Revolution erfordert, dass ihr euch zu einer Partei, einer Armee organisiert und die Feinde bekämpft. Rebellion beinhaltet, dass du dich auf dich selbst gestellt auflehnst: Du willst einfach nur raus aus dieser ganzen Fahrrinne: Wenigstens du darfst die Natur nicht vernichten.
Und wenn immer mehr Menschen zu Aussteigern werden, ist die Welt noch zu retten. Das wäre echte Revolution – unpolitisch; sie wäre spirituell. Wenn immer mehr Menschen die alte Denk- und Lebensweise an den Nagel hängen, wenn immer mehr Menschen liebevoll werden, wenn immer mehr Menschen auf Ehrgeiz pfeifen und der Gier entsagen, wenn immer mehr Menschen auf Machtpolitik, Prestige, Ehrbarkeit pfeifen …
Um nichts anderes geht es beim Sannyas! Sannyas heißt aus dem alten, morschen Spiel auszusteigen und ganz auf sich selber gestellt zu leben. Man kämpft nicht gegen das Alte, sondern entwindet sich einfach nur den Klauen des Alten – und einzig und allein auf diese Weise ist das Alte zu schwächen, ist es zerstörbar.
Wenn sich auf der ganzen Welt Millionen von Menschen den Händen der Politiker entziehen, werden die Politiker von selbst aussterben. Ihr könnt sie nicht bekämpfen. Wer sie bekämpft, wird selbst zum Politiker. Wer gegen sie angeht, wird selbst habgierig, selbst ehrgeizig. Das bringt absolut nichts.
Sei ein Aussteiger. Und du hast nur ein kurzes Leben: Dir sind vielleicht fünfzig, sechzig Jahre hier beschieden – du darfst nicht hoffen, die Welt verändern zu können; aber du darfst hoffen, die Welt noch ein wenig genießen und lieben zu können.
Nutze die Chance dieses Lebens, so viel wie möglich zu feiern. Vergeude sie nicht mit Kampf und Streit.
Mir geht es hier nicht um eine politische Streitmacht – nein, absolut nicht. Alle politischen Revolutionen sind gescheitert, und zwar so restlos, dass nur Blinde weiterhin auf sie bauen können. Alle, die Augen haben zu sehen, können nicht umhin, euch etwas Neues lehren.
Was hier geschieht, ist etwas Neues! Dies hat es zwar auch früher schon mal gegeben, aber noch nie in einem großen Maßstab. Wir müssen es auf in einem solchen Maßstab tun … Millionen müssen zu Aussteigern werden! Mit „Aussteigen“ meine ich nicht, dass ihr die Gesellschaft verlassen und euch in die Berge zurückziehen sollt. Bleibt in der Gesellschaft, aber hängt den Ehrgeiz, die Habgier, den Hass an den Nagel. Lebt in der Gesellschaft, aber seid liebevoll, und lebt in der Gesellschaft als ein Niemand.
Das ist die reine Essenz von Sannyas: als Niemand zu leben, ohne Habgier, ohne Ehrgeiz. Und dann könnt ihr genießen und könnt ihr feiern. Und indem ihr feiert und genießt, werdet ihr kleine ekstatische Wellenkreise zu anderen Menschen ausschicken.
Wir können die ganze Welt verändern, aber nicht durch Kampf – nicht schon wieder. Genug ist genug! Wir müssen die Welt verändern, durch Feiern, durch Tanz und Gesang, durch Musik, durch Meditation, durch Liebe, nicht durch Kampf.
Das Alte muss natürlich aufhören, damit das Neue eintreten kann, aber versteh mich bitte nicht falsch.
Giovanni ist Italiener und das moderne Italien ist viel zu politisch; alles dreht sich nur um Politik. Das gesamte italienische Denken ist besessen von Politik. Vielleicht ist einer der Gründe dafür, dass sie die Nase voll haben vom katholischen Vatikan und vom Papst und all dem Unfug. Sie haben es satt und sind ins Gegenteil verfallen.
Zweifellos muss das Alte aufhören – aber das Alte ist in euch drin, nicht irgendwo da draußen. Ich spreche nicht von der alten Gesellschaftsstruktur, sondern von euren alten Denkstrukturen – die müssen aufhören, damit das Neue entstehen kann. Und schon ein einziger Mensch, der seine alten Denkstrukturen aufgibt, veranlasst so viele ihr Leben zu transformieren, dass es unglaublich, unvorstellbar, unfassbar ist. Ein einzelner Mensch, der sich selbst transformiert, wird zum Auslöser – dann fangen viele weitere an sich zu verändern. Seine Präsenz wird zum Katalysator.
Darin besteht der Aufstand, den ich lehre: Du steigst aus deiner alten Struktur aus, du steigst aus deiner alten Habgier aus, du steigst aus deinem alten Idealismus aus. Du wirst ein stiller, meditativer, liebender Mensch; tanz einfach mehr und schau dir an, was passiert. Zwangsläufig wird irgendwer früher oder später mit dir mittanzen, und dann immer mehr Leute. Genauso hat es sich hier abgespielt.
Laotse zufolge braucht man nicht aus seinem Zimmer zu gehen; alles kann sich innerhalb deines Zimmers abspielen. Aber Laotse musste hinaus. Er zog immer auf seinem Wasserbüffel von einem Dorf zum andern. Aber ich bin seinem Rat gefolgt – ich verlasse mein Zimmer nie.
Ich sitze immer nur in meinem Zimmer und ihr seid alle aus verschiedenen Weltecken hergekommen. Es ist ein Wunder! Warum seid ihr gekommen? Und viele mehr sind schon unterwegs; sie werden bald hier sein. Dieser Ort ist dabei, zu einem gewaltigen Kraftplatz zu werden, an dem sich die Menschen transformieren. Hier bahnt sich eine spirituelle Explosion an – aber wir brauchen mit niemandem zu kämpfen und wir brauchen auch mit niemandem unsere Kräfte zu messen.
Ich habe keine politischen Neigungen. Ich bin absolut gegen Politik. Ja, das Alte muss aufhören, damit das Neue entstehen kann – aber das Alte muss in deinem Innern aufhören und dann ist das Neue schon da. Und sobald in deinem Innern das Neue herrscht, wird es andere anstecken, fängt es an, sich zu anderen Menschen auszubreiten.
Freude ist ansteckend. Lache und du wirst sehen, dass andere zu lachen anfangen. Genauso ist es mit Traurigkeit: Sei traurig und jeder, der dein langes Gesicht anschaut, wird plötzlich auch traurig. Wir sind nicht voneinander getrennt, wir sind miteinander verbunden. Wenn also das Herz eines anderen zu lachen beginnt, berührt das viele andere Herzen – manchmal selbst weit entfernte.
Ihr seid alle von so weit entfernten Orten hergekommen … Irgendwie hat euch mein Lachen erreicht, irgendwie hat euch meine Liebe erreicht. Irgendwie, auf irgendeine geheimnisvolle Weise, hat mein Dasein euer Dasein berührt und ihr habt es trotz aller Schwierigkeiten geschafft herzukommen. Man hat euch tausend Knüppel in den Weg gelegt und es werden immer mehr werden. Zwar lege ich mich mit niemandem an und trotzdem: Diejenigen, die an der Macht sind, haben Angst, denn ein Mensch ohne politische Ambitionen ist für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Sie können sich nicht vorstellen, dass es einen Mann geben kann, der Tausende von Menschen an sich zieht und die Macht dieser Menschen dann nicht vor den Karren seiner eigenen politischen Ambitionen spannt. Sie können’s nicht fassen! Wie sollten sie auch? Sie kennen und verstehen ja nur ihre eigene Lebensweise.
Die Politiker haben also Angst und legen euch alle erdenklichen Knüppel in den Weg, aber das wird niemanden abhalten können. Im Gegenteil, damit erweisen sie mir gewaltige Dienste! Für alle couragierten Menschen ist das eine Herausforderung. Es mag ein paar Feiglinge abhalten – was ja nur gut ist, denn mit denen wäre hier ohnehin nichts anzufangen. Vielmehr ist das eine Art Vorauslese: So kommen nur diejenigen her, die auch etwas von mir haben können. Das ist also in Ordnung. Legt ihnen ruhig so viele Knüppel in den Weg, wie ihr wollt!
Aber ich lehre dich nicht gegen irgendetwas anzukämpfen. Wer gegen etwas ankämpft, der wird zum Reaktionär – weil er damit reagiert. Er wird von etwas besessen, wogegen er ist. Und dann wird er höchstwahrscheinlich genau von dem beherrscht, was er ablehnt – vielleicht auf negative Art und Weise, aber es wird ihn beherrschen.
Friedrich Nietzsche war ausgesprochen gegen Jesus Christus. Aber mir will scheinen, dass Friedrich Nietzsche von Jesus Christus nur allzu beeindruckt war, einfach nur weil er gegen ihn war. Er war besessen; im Grunde wäre er am liebsten selber ein Jesus Christus geworden. Sein „Also sprach Zarathustra“ ist ein großer Wurf – und sein Versuch, ein neues Evangelium zu verkünden. Alles darin – seine Sprache, seine Metaphern, seine Poesie erinnern durchweg an Jesus Christus – obwohl er doch so sehr gegen ihn war! Er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, Jesus zu schmähen und verdammte ihn, wo er nur konnte – aber man fühlt sich immer wieder an Jesus erinnert. Er war besessen.
Als er gegen Ende seines Lebens wahnsinnig wurde, fing er sogar an, seine Briefe als „Antichrist Friedrich Nietzsche“ zu unterzeichnen. Selbst im Wahnsinn konnte er Christus nicht vergessen. Erst schrieb er „Anti Christ“ und da unterzeichnete er dann. Da verrät sich seine Besessenheit, seine tiefe Eifersucht auf Jesus, die ihn sein Leben lang beherrschte. Sie ruinierte sein gewaltiges Schöpfertum. Er hätte ein Rebell sein können, verkam aber zu einem Reaktionär. Er hätte der Welt etwas Neues zu bieten gehabt, aber er vermochte es nicht. Er war und blieb von Jesus besessen.
Ich bin weder für noch gegen irgendwas oder irgendwen. Ich möchte dich nicht von etwas befreien, ich möchte einfach nur, dass du frei bist. Erkenne den Unterschied: Freiheit von ist nie und nimmer komplett; durch das von ist sie an die Vergangenheit gebunden. Freiheit von kann niemals wirkliche Freiheit sein – so wenig wie Freiheit für je wirkliche Freiheit sein kann, da man damit nur nach einer neuen Unterwerfung sucht. Und die Freiheit von ist der Zwilling der Freiheit für: sie gehören zusammen wie die zwei Seiten derselben Medaille.
Ich lehre nichts weiter als einfach nur Freiheit – weder von noch für, sondern lediglich Freiheit; weder gegen die Vergangenheit noch für die Zukunft, sondern nur: Seid in der Gegenwart!
Osho, The Guest, #13