Nichts geschieht zufällig
Osho zu den Sutras von Lu Tsu:
Wenn sich bei der Herstellung des Lichtkreislaufs allmählich Erfolg einstellt, darf der Mensch seine gewöhnliche Beschäftigung nicht dafür aufgeben.
Hierauf bestehe auch ich: dass ein Sannyasin der Welt nicht entsagen darf. Eure Meditation sollte sich in der Welt entwickeln. Ihr müsst sie in euer Alltagsleben integrieren. Ihr dürft nicht weltflüchtig werden. Warum?
Unseren alten Weisen zufolge müssen wir alle Anforderungen akzeptieren, die an uns gestellt werden. Wir müssen alles, was uns begegnet, von Grund auf verstehen. Wenn solche Anforderungen mithilfe richtiger Gedanken so erledigt werden, wie es sich gehört, wird das Licht nicht durch Äußerlichkeiten vertrieben, sondern fährt fort, gemäß seinem eigenen Gesetz zu kreisen. Selbst der stille, unsichtbare Kreislauf des Lichts wird auf diese Weise in Gang gesetzt. Dies gilt erst recht für den wahren Kreislauf des Lichts, der sich bereits eindeutig kundgetan hat.
Zunächst: Jede Lage, in der ihr euch befindet, stammt von Gott; lehnt sie nicht ab. Sie ist eine Chance, ein Anlass zu wachsen. Wer die Chance ausschlägt, wird nicht wachsen. Die Leute, die in die Höhlen des Himalajas fliehen und dort zu leben anfangen und ihre Höhlen nicht mehr verlassen wollen, werden niemals erwachsen. Sie bleiben kindisch. Sie sind nicht herangereift. Wenn man sie in die Welt zurückholt, sie werden sie zusammenbrechen, können sie das nicht ertragen.
Erst vor ein paar Tagen kam eine Sannyasin aus dem Himalaya zurück, wo sie drei Monate verbracht hatte, und sie sagte: „Aber jetzt fällt es mir schwer, hier zu sein. Ich möchte wieder zurückgehen.“ Nun, auf die Art wird man nicht reifer. Jetzt wird der Himalaja zu ihrer Besessenheit; und was immer sie auch für ihre Meditation, ihre Stille halten mag, ist gar nicht ihre Meditation und Stille, sondern eine Auswirkung der Stille des Himalajas. Ich trug ihr auf: „Bleib drei Wochen hier, und dann lass mich wissen, was aus deiner Stille und deiner Meditation geworden ist. Wenn sie verschwindet, dann hat sie nichts mit dir zu tun. Und dann gehst du besser nicht in den Himalaja. Lass deine Meditation hier wachsen! Wenn du hier auf unserem Marktplatz meditativ sein kannst und dann zum Himalaja gehst, wird deine Meditation tausendfach profitiert haben. Als Urlaub ist das in Ordnung, aber klammere dich nicht daran. Komm stets zurück in die Welt.“
Ja, es ist gut, sich ab und zu in die Berge zurückzuziehen, das ist herrlich, aber man darf auf keinen Fall süchtig werden und erwägen, der Welt zu entsagen – denn nur in den Stürmen der Welt entsteht innere Sammlung. Nur in den Herausforderungen der Welt kristallisiert man sich.
Lu-Tsu sagt: „Akzeptiere die Situation, in der du dich befindest. Offenbar ist sie die richtige Situation für dich; darum befindest du dich in ihr.” Die Existenz kümmert sich um dich. Du bekommst sie nicht ohne Grund. Es geschieht nicht zufällig. Nichts geschieht zufällig. Du bekommst genau das, was du brauchst. Und wenn du es bräuchtest, im Himalaja zu sein, wärst du längst dort. Und wenn es so weit ist, wirst du erleben, dass entweder du selbst in den Himalaja gehst oder der Himalaja zu dir kommt. Das ist so … Wenn der Schüler bereit ist, stellt sich der Meister ein. Und wenn deine innere Stille bereit ist, stellt sich Gott ein. Und du bekommst alles geliefert, was du unterwegs brauchst. Die Existenz kümmert sich, sie bemuttert.
Sei also unbesorgt. Nutze lieber die Chance: Man muss die Herausforderungen dieser Welt nutzen, diese ständigen äußeren Turbulenzen. Du brauchst nur ein Zeuge zu sein. Schau’s dir an. Lerne, dich nicht dadurch beirren, berühren zu lassen, wie ein Lotusblatt auf dem Wasser. Und dann wirst du dankbar sein, denn nur wenn du dich achtsam aus dem Aufruhr heraushältst, werden eines Tages plötzlich „die Götter im Tal sein“. Dann siehst du den Marktplatz in der Ferne verschwinden, zu einem Echo werden. Dies ist wahres Wachstum.
Und wer es tatsächlich schafft, in den gewöhnlichen Beschäftigungen des Lebens meditativ zu bleiben, dem kann nichts zustoßen. Das Licht wird zu kreisen anfangen; man braucht nur darauf zu achten.
Meditiere am Morgen und entferne dich danach nicht von deiner Mitte. Geh in die Welt, aber bleib deiner Mitte nah, vergiss dich nicht selber. Bleibe dir bewusst, was du tust.
Wenn man im Alltagsleben fähig ist, auf alles immer reflexartig zu reagieren, ohne Beimischung des eigenen oder fremden Denkens, setzt der Kreislauf des Lichts aufgrund der Umstände ein. Dies ist das erste Geheimnis.
Und je nachdem, was anliegt – handle, aber identifiziere dich nicht mit deinem Tun. Bleib Zuschauer. Verrichte alles Nötige reflexartig. Tu alles, was erforderlich ist, aber werde zu keinem Macher, bleibe unbeteiligt. Tu’s, und Schluss damit – wie ein Reflex.
Wenn man am frühen Morgen sich aller Verstrickungen zu entledigen und ein bis zwei Doppelstunden lang zu meditieren vermag und sich danach auf eine rein objektive, reflexive Art und Weise allen Tätigkeiten und Äußerlichkeiten widmet, und dies ohne Unterbrechung durchhält, dann steigen nach zwei oder drei Monaten alle Vollendeten vom Himmel herab und billigen solches Verhalten.
Verhaltet euch objektiv. Registriert die Situation und tut alles Nötige. Aber identifiziert euch nicht mit eurem Tun, macht euch keine Sorgen deswegen, denkt nicht an das Ergebnis. Tut einfach das Erforderliche und geht hellwach auf Abstand, weit weg, verwurzelt in eurer Mitte. Nur eines: Richtet euch am frühen Morgen auf eure innere Mitte aus, auf dass ihr sie den ganzen Tag lang im Auge behalten könnt.
Zwei Tageszeiten sind dazu am besten geeignet. Erstens am frühen Morgen: Stell dich auf deine Mitte ein, so dass du zwar da draußen leben kannst, wohl aber deiner Mitte eingedenk bleibst. Und zweitens vor dem Zubettgehen: Stell dich wieder auf deine Mitte ein, auf dass du dich sogar noch im Tiefschlaf, selbst während du träumst, während du unbewusst bist, deiner Mitte immer mehr nähern kannst. Diese beiden Zeitpunkte sind die besten. Und wenn du es schaffst, zu diesen Zeitpunkten zu meditieren, brauchst du sonst nirgendwohin zu gehen. Du brauchst weder ins Kloster zu gehen, noch der Welt zu entsagen, und eines Tages wirst du erleben, wie du von Blüten überschüttet wirst und die Götter dir ins Ohr flüstern.
Die ganze Existenz feiert den Augenblick, da eine Seele heimkommt. Was Subhuti widerfuhr, kann euch widerfahren. Erwarte es freudig. Es ist dein Geburtsrecht, du kannst es geltend machen.
Aus: The Secret of Secrets, Vol 2, Ch. 6
(Das Geheimnis aller Geheimnisse, Bd. 2, Kap. 6)